
Die letzte Etappe meiner ganz persönlichen Tour de France in diesem Jahr liegt nun schon zwei Tage zurück. Während die Radprofis der einzig wahren „Tour de France“ heute noch mal in Richtung der Champs-Élysées mit dem Ziel des l’Arc de Triomphe in Paris in die Pedale treten, habe ich meine sieben Sachen heute Morgen in Trier gepackt und sitze derzeit im Zug, der mich umweltfreundlich in meine niederrheinische Heimat befördert.
Übrigens gibt es bei einer Pilgerwanderung, anders als bei den gedopten Radrennfahrern heute in Paris, keine Siegerehrung.
Vielleicht sollte ich die Geschehnisse der vergangenen Tage besser chronologisch „erzählen“. Mann/Frau kommt ansonsten ja ganz schön durcheinander. Allein an der Tatsache, dass ich mir so eine lange Zeit gelassen habe, um diesen letzten Etappenbericht zu verfassen und ein Gesamt-Resumee zu ziehen, kann man erkennen, wie schwer mir der erneut temporäre Abschied vom Jakobsweg fällt.
Die letzte Klappe fiel am frühen Nachmittag des vergangenen Freitag in Beaune nach insgesamt 377 gelaufenen Kilometern und 16 Tagesetappen.

Beaune ist übrigens das Zentrum des Weinbaugebietes der Côte de Beaune und voller touristischer Sehenswürdigkeiten.

Genau das war mein Problem! Die 19 km lange Wanderstrecke, erneut überwiegend durch die Rebstöcke und Weinfelder der Region, hatte mich bei der Stärke der Sonnenstrahlung müde werden lassen. Nach der Einsamkeit des Tages dann mit dem pulsierenden Stadtleben, Kommerz und Konsum konfrontiert zu werden, ist für einen Pilger nur schwer zu verarbeiten.

Man sehnt sich danach, den Staub des Tages aus den Klamotten zu schütteln und diese schnellstmöglich zu wechseln. DAS war in Beaune leider nicht möglich. Pilger-Lonely-Planet, Outdoor Handbuch und sämtliche Portale im World Wide Web konnten da am Vortag schon nicht helfen. Das schmucke Städtchen war zum Wochenende in der überaus angesagten Cote D‘or Weinbauregion ausgebucht! Einmal in Beaune angekommen, hatte ich aufgrund meiner Wahrnehmung und meinem Empfinden auch gar keine Lust mehr nach einer Krippe zu suchen. Einfach bedauernswert, dass eine eigentlich sehr schöne und bedeutende Stadt auf dem Jakobsweg nullkommanull an die Bedürfnisse der Pilger denkt und keinerlei Unterkünfte für diese zur Verfügung stellt.
Glücklicherweise hatte Clotilde, die Mitarbeiterin des Bürgermeisteramts in Ahuy, auf meinen Anruf hin, wieder eine private Übernachtungsmöglichkeit bei Freunden in Dijon für mich ausfindig machen können. Erleichterung pur bei mir, da ich wirklich keine Lust mehr hatte, die Gassen von Beaune in Kir-Royal-Laune weiter zu erkunden. So wanderte ich schnurstracks und schnellstmöglich zum außerhalb der Stadt gelegenen Bahnhof und war schier erlöst als der Trubel vorbei war.

Die noch nicht einmal halbstündige Zugfahrt von Beaune nach Dijon verging wie im „Flug“. All die Örtchen und Hügel der vergangenen zwei Tage bekam ich so noch einmal präsentiert, ohne dass der Schweiß mir erneut von der Stirn laufen sollte.

In Dijon ging es dann völlig unkompliziert in die Tram Nr. 2

und schwupps stand ich im Norden Dijons vor dem Haus von Michèle und François. Willkommen im Paradies!
Die wunderschöne Terrasse der Familie, der einladende Pool, der blumenüberhäufte, für Naturliebhaber begeisternd große Garten, die sympathische Begrüßung der Gastgeber und zweier anwesender Freunde, das alles und noch viel mehr, waren so wohltuend für mich nach den mich so sehr störenden Touristenschwärmen des frühen Nachmittags in Beaune.

In Kenntnis meiner „Müller für eine Nacht – Story“ erlaubte sich François einen schelmischen Spaß und zeigte mir die in seinem Haus angeblich für mich zur Verfügung stehende Duschwanne. „Immerhin größer als die vom Müller tatsächlich benutzte verblichene Spülschüssel“ dachte ich beim Anblick der eisernen Wanne.

Die Wirklichkeit sah natürlich ganz anders aus. Ein sehr modernes Gästezimmer mit einer noblen Dusche und einem superbequemen Bett durfte ich am letzten Abend meines Pilgerabenteuers in Frankreich für mich ganz alleine nutzen. Regionale Käsespezialitäten, Biere, Weine und ein wohlschmeckendes Menue rundeten für mich den Besuch ab.

Das allein war es aber nicht, was den Tag bei François und Michèle zu einem besonderen Camino-Erlebnis für mich machte. Es waren vielmehr der tiefgründige Austausch über aktuelle Themen der Zeit, Familie, Beruf und darüber hinaus auf englisch, französisch und erfreulicherweise auch auf deutsch 🇩🇪!
Die Zeit im Paradies verging für mich wie im Flug. Neben den bereits geschilderten Dingen hinterließen die vielen wunderschönen Gemälde von François, in den schillerndsten Blautönen, einen besonderen Eindruck auf mich. Ich hoffe, dass François mit der Veröffentlichung eines seiner Werke an dieser Stelle einverstanden ist. 😉

Geschlafen habe ich übrigens wie ein Engel auf der superbequemen Matratze im riesengroßen Bett.
Nach einem mich sehr verwöhnenden Frühstück galt es dann leider wieder Abschied zu nehmen, da meine Zugfahrt über Nancy, Metz nach Luxemburg ja schon um 10:55 Uhr ab „Gare Dijon“ auf dem Programm stand.
Au revoir chère Michèle et cher François. Merci beaucoup pour tout ! À bientôt, j’espère.

Gastgeber und Pilger Selfie
Als ich bereits im Zug nach Nancy saß erhielt ich die „freudige“ Nachricht, dass zwei Zugverbindungen (Bettembourg- Luxembourg u. Luxemburg-Trier) aufgrund von Bauarbeiten durch Schienenersatzverkehr, sprich Busse 🚌, ersetzt werden müssen.
Das schönste bei diesen „Hiobsbotschaften“ war, dass es mich noch nicht einmal elementar störte. Die „unendliche Leichtigkeit des Seins“ war wieder da zum Ende meiner Pilgerreise!
Der Plan, auf dem Weg nach Haus noch eine Übernachtung in Deutschland oder Luxembourg einzuschieben, war allerdings schon vorher in meinem Kopf. Doch jetzt schritt ich nach den angekündigten Verspätungen tatsächlich zur Tat und rief das Klostergästehaus in der Franz-Ludwig-Str. 7 in 54290 Trier an (Tel.: +4965197690, Übernachtung nur für Pilger mit Ausweis; Zimmer/Etagendusche inkl. Beherbergungssteuer: 25,53 €) .
Tatsächlich konnte man mir so kurzfristig noch für den Abend ein Bett reservieren. Was für eine angenehme Überraschung, die am 27.05.2016 in Trier begonnene Wanderung auf dem „Chemin des Allemandes“ endete dann (vorläufig) mit einer Übernachtung an gleicher Stelle. Schon 2016 übernachtete ich in Trier im Klostergästehaus der Schwestern vom Hl. Joseph. Dazwischen lag bedingt durch eine hartnäckige Verletzung am Fuß und C19 eine unfassbar lange Pilger-Auszeit.

Wenig überraschend endete aber auch diese Verlängerung meiner Pilgerzeit in der von der Vergangenheit so sehr geprägten stolzen Stadt Trier und ich bin wieder am Ausgangspunkt meines heutigen Textes gelandet. Köln, Mönchengladbach und dann hoffentlich Kaldenkirchen heißen die Etappenziele der andauernden Zugfahrt. Städte und Orte, die neben dem privaten auch mein berufliches Leben bestimmt haben. Die verbleibenden 10 km zu meiner Heimatgemeinde Brüggen werde ich dann per pedes durch den Grenzwald von Kaldenkirchen bewältigen. Training für das nächste Pilgerabenteuer, wer kann diese Frage zum jetzigen Zeitpunkt schon beantworten? Ein kurzer Blick in den ungeliebten Outdoor-Wanderführer weist die noch verbliebene Strecke von Beaune bis Le Puy-en-Velay mit 17 Tagesetappen und 387 Kilometern aus. Rein zufällig habe ich auf meinem zurückliegenden Pilgerweg der vergangenen 16 bis 17 Wandertage (einschließlich Prolog) nahezu exakt solch eine Wanderleistung bewältigt. Es wäre doch jammerschade das Pilgerprojekt (Trier – Le Puy) nicht in den nächsten Jahren zu veredeln. Wann genau das stattfindet, das steht noch in den Sternen geschrieben. Nur eins möchte ich nur all zu gerne versprechen.

Ich werde diesen Weg zu Ende gehen, soweit meine Gesundheit und andere Dinge, auf die wir alle keinen wirklichen Einfluss haben, dieses Vorhaben in Europa zulassen.


Bedanken möchte ich mich zum Schluss bei meinem „Alter Ego“, Herrn Innenmeniskus,

dass er bis zum Schlusspfiff in Beaune tatsächlich durchgehalten hat.
Mein weiterer Dank gilt Euch da draußen, Familie, Freunden, Bekannten und Unbekannten, die sich die tägliche Berichterstattung von mir „angetan“ haben. Mein Weg war so sehr einsam in den zahlreichen französischen Departements, dass ich ohne Eure Unterstützung und das Interesse so manche Tiefe mehr auf dem Weg erlebt hätte. Die Wehwehchen, Pleiten und Pannen sind bald vergessen. Was bleibt sind die Menschen am Ende jeden einzelnen Tages, die unbeschreiblichen Erlebnisse, die verrücktesten Übernachtungsplätze, die Kühe, Schmetterlinge, der Jakobsweg und die Stadt Dijon, die ich wirklich in mein Herz aufgenommen habe. J’adore Dijon!

Buen Camino. Ultreia!
Heiner

PS: Glaubt dem Menschen kein Wort, er ist und bleibt …
der größte Caminopilger-Schwindler 🥾 aller Zeiten!
Die Bilder der letzten Tage:




Nic ht wahr?


















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