Verfasst von: Caminopilger | 20. Juli 2022

Der Lonely Planet für Pilger im Cote D‘or oder auch, wie ich für eine Nacht zum Müller wurde! Tag 13 19.07.2022 von Marcilly-sur-Tille nach Ahuy 25 km (Etappe auf dem Jakobsweg von Trier nach Le Puy-en-Velay) Chemin des Allemandes

Den Morgen verbringe ich gerne im Sonnenblumenfeld.

Die Unterkunftssuche stellt den Pilger auf dem Chemin des Allemandes mitunter, wie an dieser Stelle wiederholt aufgezeigt, vor unlösbare Aufgaben. Nach ein paar Wochen hier auf dem Jakobsweg in Frankreich habe ich endlich verstanden wie es besser laufen kann! Die privaten und gewerblichen Anbieter der Unterkünfte besitzen in allen Departements umfangreiche Datensätze und Listen über anderweitig nicht publizierte private Unterkunftsmöglichkeiten entlang des Weges.

Der Datenschutz lässt ein schärferes Foto nicht zu 😈!

Diese „Betten“ sind zwar nicht immer direkt am Weg gelegen, aber auf ein paar hundert Meter kommt es bei den zumeist machbaren Tagesetappen dann auch nicht mehr an. Das schöne an den Listen ist, dass die privaten Unterkünfte sehr häufig von Leuten zur Verfügung gestellt werden, die selbst Pilger sind und gegen „Donativo“ die Übernachtung nur für auf dem Weg befindliche Pilger zur Verfügung stellen. Wenn es schon kaum Herbergen auf dem Weg gibt, dann ist das für mich zumindest immer noch authentischer als „Hotelbesuche“ und passt einwandfrei zum Jakobsweg, da die Gastgeber die müden Pilger in den allermeisten Fällen mit Pilger-Herzblut empfangen. Bisher habe ich jedenfalls beste Erfahrungen mit dieser Art der Übernachtungen machen dürfen. Auffallend ist, dass die meisten Gastgeber die angesprochen Listen, sozusagen den Lonely Planet Übernachtskatalog für Pilger, ungern rausrücken und im Höchstfall einzelne Fragmente in Zettelform dem Pilger mit auf den Weg geben. Ich habe diesen gehüteten Goldschatz mittlerweile von einem der bisherigen Gastgeber dankenswerter Weise vollständig ausgehändigt bekommen und benutze ihn seitdem täglich bei meiner Quartiersuche.

Kennzeichnung des Weges im Cote D‘dor

So landete ich gestern bei Monsieur Sabatier in Marcilly sur Tille und staunte nicht schlecht als ich gegen 17:00 Uhr zum verabredeten Zeitpunkt vor einem abgeschlossenen Tor stand.

Das Tor zum Pilgerglück

Dahinter befand sich ein riesiges parkähnliches Anwesen am Fluss und der historischen Mühlenanlage des Ortes Marcilly-sur-Tille. Mittendrin ein riesiges malerisch gelegenes großes Herrenhaus. Beim Anblick dieser kinowürdigen Kulisse lief der Spielfilm in meinem Kopf schon ab. Wasserhähne aus Gold, Entmüdungsbecken für Pilger, eisgekühlter Burgunder am Pool und Barbecue. Man da habe ich heute ja das ganz große Los gezogen! Nach kurzer Zeit kam Herr Monsieur zum Tor, öffnete es aus der Ferne mit ner Funkverbung, und begrüßte mich freundlich auf seinem Anwesen. Als ich in freudiger Erwartung in Richtung des feudalen Herrenhauses gehen wollte, zeigte er überraschenderweise mit einer eindeutigen Handbewegung in die andere Richtung, also wieder vom Anwesen weg auf die Straße. Was soll das denn geben, dachte ich leise vor mich hin, zumindest leicht irritiert in diesem wieder zuhöchst bühnenreifen Moment. Ich hatte mich doch schon so sehr auf das Pilgerluxusleben eingestellt… . Der weitere Weg war dann zumindest nicht weit, genau gesagt waren es lediglich 10 Meter. Das Anwesen von Monsieur Sabatier ist unter anderem von der historischen Mühlenanlage eingegrenzt, die wohl offensichtlich auch noch zu seinem Anwesen zählt.

Müllers Mühle

Zugleich öffnete er das erste erreichbare Schloß und schwupps standen wir vor einem niedlich hellen historischen Häuschen.

mein Mühlenreich

„Voila“, dies war also meine puristische Übernachtung. Das historische Haus des Müllers, der erschöpft von der harten Arbeit in vergangenen Zeiten nicht all zu weit von der Mühle wohnen sollte um quasi ständig verfügbar zu sein. Genau genommen zählt das Knusperhäuschen damit zur Mühlenanlage. Monsieur erklärte mir mit einem besonderen Schalk im Nacken, dass ich für eine Nacht in die Rolle des Müllers schlüpfen würde.

1 Mühlen-Mann-Albergue

Mir gefiel das Szenario, dennoch war ich mir irgendwie nicht sicher, ob der Müller in früheren Jahrhunderten eine Dusche und ne Toilette kannte. Damit lag ich mal zu 100 Prozent richtig, die Toilette war 50 Meter entfernt in einem Schuppen des Nachbargebäudes untergebracht. Um diese zu benutzen wurden mir sage und schreibe drei Schlüssel ausgehändigt. Auf meine ergänzende Frage nach der Duschmöglichkeit, zeigte Monsier mit einem breiten Grinsen auf eine im Haus befindliche verblichene gelbliche Plastikschüssel mittlerer Spülgröße.

Mann achte auf die Spül-/Duschschüssel

Anschließend begutachtete er gemeinsam mit mir die Stelle am Fluß, wo ich mich zur Körperpflege unbeobachtet entkleiden könne.

Duschplatz am Fluss

Ich nahm alles mit ner großen Prise Humor und sagte zu ihm, dass es in Indien am Ganges genauso sei. Willkommen im naturverbundenen puristischen Pilgerleben! Ich tat, wie mir beFOHLEN wurde und machte mich am Fluss nackig. Herrlich! Das Pilgermenue stellte ich mir im örtlichen Einkaufsmarkt zusammen, da die Restaurants vort Ort ( Achtung: running gag) geschlossen hatten.

Des Müllers Abendmahl in der Mühle

Geschlafen habe ich übrigens herrlich als Müller für eine Nacht. Am heutigen Morgen brachte Monsieur mir gegen 07:00 Uhr dankenswerterweise frisch gebrühten Kaffee zum Müllershaus, setze den Tampon (deutsch: Stempel) in meinen Pilgerausweis und ich war 10 Minuten später wieder auf meinem Weg, ohne auch einen weiteren Blick vom Herrenhaus im Park während meines gesamten Aufenthalts erhascht zu haben. So ist eben das harte Leben eines Müllers!

Der Müller und sein Chef

Die heutige Tagesetappe nach Ahuy war insgesamt betrachtet eine staubtrockene und menschenleere Angelegenheit deren Höhepunkte zum einen eine zum 2ten Frühstück verzehrte leckere, mit Carte D‘or Schokolade und Bourbonne Vanillepudding gefüllte, Schnecke 🐌 und ein geniales Mittagsmenue in Messigny-en Vantoux waren.

so schaut es aus wenn ich nach unten gucke

Glücklicherweise hatten die Streckenplaner wieder ein Einsehen mit mir im Glutofen. Den kerzengeraden, langen und smarten Aufstieg nach Ahuy konnte ich im schattigen Wald gut meistern. Mein Lonely Pilger Planet Führer hat mir heute eine Übernachtung bei dem vitalen 83 jährigen Daniel geschenkt. Von ihm werde ich morgen an gewohnter Stelle ein bisschen mehr erzählen.

Es lebe der Camino.

Ahuy!

Der Caminopilger

Die Bilder des Tages:

Wüstenblumen
Pilgerziel ist …
Cote D‘or Schnecke 🐌
ist das Mittagsmenue wirklich ne gute Entscheidung? Aber… Siesta muss sein.
auf dem Weg zum feudalen Mittagsmenue
der Blick zurück auf den gegangenen Weg
schönes Haus auf dem Weg
Weinstöcke 🍷 im Burgund
Friends will be Friends, oder was wäre ich ohne die Kühe auf dem Weg!
bescheidenes Pilgermahl
Durch den Wald nach Ahuy
bei Daniel angekommen
und die tägliche Pilgerwäsche ist auch schon erledigt 🤠
Der Caminopilger ist noch 3 Tage auf dem Weg.

Antworten

  1. Eine ähnliche Erfahrung hatte ich einmal auf dem Schweizer Jakobsweg. Es gab zwar eine Dusche, aber die errichte ich nach bei einem Gang über den Hof. Zum Händewaschen musste ich auch dorthin. In der regenreichen Nacht über den unbeleuchteten Hof zu gehen, war ein Erlebnis! Nicht ganz wohl war mir auf dem abgelegenen Hof alleine mit dem älteren Gastgeber. Habe beschlossen, möglichst nicht mehr bei alleinstehenden Herren zu übernachten…


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